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Als ich in ihre Augen sah, sah ich mich selbst vor einigen Jahren…

Autorenbild: Anna BergmannAnna Bergmann

Mein emotionaler Besuch bei Wish for a Baby in Berlin


Natürlich weiss ich, dass unerfüllter Kinderwunsch ein schwieriges Thema ist - schliesslich arbeite ich damit und verbringe einen Grossteil meines Tages mit diesem Thema. Was ich aber von der Messe in Berlin mitgenommen habe, sind noch viel mehr Emotionen, als ich es mir hätte vorstellen können.


Erstmal habe ich nicht mit dieser schieren Zahl an Besucherinnen und Besuchern gerechnet, denn noch vor zehn Jahren wäre eine solche Veranstaltung wahrscheinlich undenkbar gewesen. Unerfüllter Kinderwunsch betrifft eines von sechs Paaren; man stelle sich mal vor, ein grosses Hochhaus anzuschauen, bei dem in jedem sechsten Fenster Licht brennt. Das ist dann ganz schön viel und doch sieht man das Thema im Alltag nicht. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass nicht mal jede zehnte Person Rückenschmerzen hat, aber dieses Thema ist in aller Munde, man hat Verständnis dafür und Hilfsangebote sind überall verfügbar.


Viele Besucherinnen haben mich gefragt, woher ich denn die Energie genommen hätte, um das alles durchzuhalten. Das ist genau der wunde Punkt. Die meiste Kraft habe ich nicht gebraucht, um die negativen Tests jeden Monat zu ertragen, das wurde irgendwann sowieso zum Normalfall. Die meiste Energie ging verloren, weil es so schwierig ist, im Alltag mit dem Thema klarzukommen. Es ist schwer, auf der Arbeit nicht darüber sprechen zu können, weil einem sonst eine ganze Salve an juristischen und emotionalen Konsequenzen droht. Es ist schwer, mit einer unfreundlichen Praxisassistentin klarzukommen, wenn man so dringend ein Rezept braucht. Es ist ernüchternd, nach drei IVF-Runden zu merken, dass einen die Klinik nur durchschnittlich betreut hat und dass es hätte besser sein können - aber wen hätte man fragen sollen? Es ist unfair, dass man sich über die Finanzierung einer IVF unterhalten muss, während andere Paare auf die Malediven fliegen oder sich ein zweites Auto kaufen. Während letzteres als ultimatives Statussymbol gesehen wird, ist die IVF für viele Aussenstehende allenfalls ein Lifestyle-Problem, weil man es einfach anders nicht „hinbekommt“.


Ich habe in die Gesichter der Besucherinnen geschaut und es kam mir vor, als könnte ich direkt in ihre Seele blicken. Sie alle tragen einen schweren Rucksack mit sich herum, den aber niemand sieht.

Stattdessen sind viele besonders verantwortungsbewusst, wollen auf der Arbeit auf keinen Fall fehlen, auch wenn es immer schwieriger wird, wollen alles richtig machen, vielleicht klappt des dann endlich.


Vor fünf, sechs Jahren war ich genau an diesem Punkt. Ich war emotional und körperlich im Untergeschoss angelangt, sah vor lauter Verzweiflung keinen reellen Ausweg mehr, wie ich das alles durchhalten sollte und da waren gerade mal acht, neun Runden vorbei. Was habe ich geändert? Mir wurde klar, dass ich radikal etwas ändern muss, wenn ich mit diesem schwierigen Problem weiterhin klarkommen möchte. Ich begann, Schritt für Schritt meinen Alltag so zu verändern, dass es möglich wurde, auch längerfristig immer wieder eine KiWu-Behandlung wahrnehmen zu können bzw. damit dies zumindest leichter wurde. Meistens musste ich erst in ein Fettnäpfchen so richtig hineintreten, bis ich gemerkt habe, dass ich gerade hingefallen bin.


Das war kein einfacher Weg; ich wechselte zwei Mal den Job, mein Partner gab Jobs auf und nahm andere an, ich musste Freundschaften beenden und in manchen Dingen rigoros egoistisch werden - aus Selbstschutz für mich selbst und für meinen grossen Traum. Aber weisst du was? Es hat sich gelohnt. Nicht nur, weil ich in Runde 32 tatsächlich Mama geworden bin (daran habe ich zeitweise nicht mehr geglaubt…), sondern weil ich heute schon so vielen anderen Betroffenen helfen konnte, die nicht erst auf schmerzliche Weise in die zahlreichen Fallen tappen müssen, die auch über mir zugeschnappt haben. Diese schwierige Reise hat mich auch gelehrt, zu akzeptieren wo meine Grenzen sind und es nicht immer nur den anderen recht machen zu wollen. Ich würde nicht sagen, dass diese Erkenntnisse nun den ganzen Weg "wert waren" bzw. dass ich es nur dafür wieder tun würde, aber wenn dies irgendjemandem weiterhilft da draussen, dann ist schon viel Schmerz und Leid erspart geblieben.


Stell dir vor, dass du dich nie mehr so schlecht fühlen müsstest, wenn du befürchtest vor deinem Ultraschalltermin im Wartezimmer zwischen lauter Schwangeren zu landen, weil es eine Lösung gäbe… Stell dir vor, du hättest während einer IVF-Runde für jeden Tag des Zykluses einen kleinen Strohhalm, der dich ans Ziel bringt und vor allem wieder an den Start, wenn es nicht geklappt hat? Wie würde es sich anfühlen, wenn jemand genau versteht, wie es ist, sich bei der Arbeit einfach ins Klo einzuschliessen und zu weinen?


Obwohl ich täglich mit Betroffenen von unerfülltem Kinderwunsch zu tun habe, hat mich das Thema bei der Messe in einer solchen Grösse überrollt, dass ich extrem bestärkt nach Hause gefahren bin. Wenn ich nur einer Person fort helfen konnte oder es in Zukunft noch kann, dann tue ich das Richtige.


Ich kann niemandem seinen Kinderwunsch erfüllen und ich kann keine Schwangerschaft versprechen, aber ich kann kleine Brücken bauen, wenn man überall vor dem Abgrund steht und am Ende waren es bei mir eben diese (wenn auch handwerklich erstmal weniger geschickt gebauten) Brücken, die aus einem langen steinigen Weg einen gangbaren Weg gemacht haben.

Heute kann ich sagen, dass ich für andere Betroffene bei teils unwegsamem Gelände einen sanfteren Umweg gefunden habe, damit sie nicht abstürzen, sondern einen befestigten Weg nehmen können.


Unerfüllter Kinderwunsch ist schwer und der Umgang damit ist noch schwerer, aber du bist nicht allein und ich gebe dir gerne meine besten Strategien mit, damit es für dich weniger schwer wird.



 
 
 

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