Der grosse Blockaden-Bullshit und was dahintersteckt
- Anna Bergmann

- 3. Sept.
- 6 Min. Lesezeit
Es ist neben "Entspann dich doch einfach" der Gratis-Tipp Nr. 1 im Kinderwunsch: Blockaden lösen. In diesem Artikel möchte ich der Frage nachgehen, was es damit auf sich hat und welche Konzepte stattdessen ins Auge gefasst werden können.
Was sollen Blockaden im KiWu-Kontext sein?
Um das Wichtigste gleich vorweg zu nehmen: Blockaden gibt es im medizinischen Sinne nicht, jedenfalls nicht so, wie sie im Kinderwunsch oft bezeichnet werden. Es gibt Blockaden im Darm - wir alle wissen, was dann passiert. Es gibt auch blockierte Gelenke oder Blockaden im Rücken - aber alle diese Situationen sind physiologisch erklärbar. Das bedeutet man kann sie anfassen und mit physischer Einwirkung lösen. Von diesen Blockaden ist im Kinderwunsch aber nie die Rede. Stattdessen sind Blockaden "im weiteren Sinne" gemeint, die also höhere Ebenen betreffen, die wir als Menschen nicht sehen können, entweder weil wir nicht wissen, ob es sie überhaupt gibt, oder weil wir einfach so keinen Zugang dazu haben.
Als Zwischenstand möchte ich Folgendes festhalten: Für eine solche Annahme gibt es keinerlei wissenschaftliche Belege. Einfach keine.
Vielleicht wundert es dich, dass ich sogar ein sehr spiritueller Mensch bin. Ich bin sogar selbst davon überzeugt, dass es mehr zwischen Himmel und Erde gibt, als wir sehen können. Das kann man als Metaphysik, Spiritualität oder auch sonst irgendwie benennen. Das gibt es zum Beispiel, wenn zwischen zwei Menschen eine ganz besondere Magie herrscht, wenn uns ein Musikstück tief in der Seele berührt (sieh dir dazu auch meinen Blogbeitrag zur Seele an), oder wenn wir an jemanden denken, der uns in nächster Minute anruft. Ja, es kann gut sein, dass es da noch mehr gibt.
Aber wo genau macht man jetzt die Überleitung dazu, dass es Blockaden im Kinderwunsch geben soll? Richtig, es gibt keine. Das grosse Problem dabei ist, dass solche Blockaden keinen Sinn haben. Wie kann ich erklären, dass etwas blockiert sein soll, das ich physisch gar nicht erfassen kann? Wo es keine Physik gibt, kann es auch keinen Widerstand geben. Noch schlimmer finde ich, wenn man solche Pseudo-Erklärungen dazu heranzieht, Betroffenen eine Antwort vorzugaukeln, die es in Wahrheit aber gar nicht gibt. Viel schlimmer wird das Ganze noch, wenn Betroffene dazu angehalten werden, ihre Blockaden auf diese oder eine andere Weise zu lösen. Wer soll das überprüfen? Wann habe ich sie dann genug gelöst? Was ist die verlässliche Methode dazu? Oder rückwärts gedacht: Wie sollen die Blockaden dann entstehen? Indem ich ein schlechter Mensch war, etwas falsch gemacht habe, oder einfach nur Pech gehabt habe? Wenn ich mir beim Training den Arm verdrehe, dann weiss ich nachher schon, durch welche Bewegung der Muskel überstrapaziert wurde, oder meine Schulter ausgekugelt wurde. Aber was soll das beim Kinderwunsch sein?
Wie will man überhaupt solche Blockaden identifizieren? Mit einer medizinischen Untersuchung? Mit einer geistigen Verbindung? Wer ist hierfür warum genau qualifiziert?
Was damit angerichtet wird
Wenn auch das vermeintliche Lösen der Blockaden nichts hilft, verfallen Betroffene in noch grössere Selbstzweifel, wenn nicht sogar Selbsthass. Das kann fatale Folgen haben und ich kann an dieser Stelle nur nochmal wiederholen, dass Leute, die solche Aussagen treffen, sich in einem sehr gefährlichen Bereich der Anmassung bewegen. Spiritualität hat viele Facetten und kann in vielen Bereichen das Leben auch bereichern (ich nutze sie selbst ja auch!), aber sie hat dort ihre Grenzen, wo einerseits eine fundierte Qualifikation von Coaches fehlt und andererseits in medizinische Sachverhalt eingegriffen wird.
Was dabei verblüffend ist: Mir ist noch kein KiWu-Coach über den Weg gelaufen, der auf solche Themen setzt, der bzw. die selbst auch von unerfülltem Kinderwunsch betroffen war. Mit anderen Worten ist mir niemand bekannt, der seine eigenen Blockaden plötzlich lösen konnte und dann doch keine IVFs mehr machen musste. Klingelt bei dir gerade etwas? Stattdessen wird das Blockaden-Thema immer nur von Menschen bewirtschaftet, die selbst keine Probleme im Kinderwunsch hatten, denn es würde ja kaum jemand zugeben:
"Ach wie dumm von mir, hätte ich mal besser die Blockaden vorher gelöst, dann hätte ich mir die sieben IVFs ja sparen können!"
Spätestens da muss man merken, dass das einfach nur Gaslighting in seiner Reinform ist.
Wenn die "Blockaden" einfach nicht gelöst werden, bzw. die Patientin einfach nicht schwanger wird, wird auch gerne der Spiess umgedreht. Dann heisst es, sie habe vermutlich diese Blockaden, weil sie ihrer Sache doch nich nicht sicher sei, weil sie noch unverarbeitete Themen habe und so weiter. Das ist Manipulation par excellence. Fehlende medizinische Kompetenz durch solche Schuldumdrehungen zu kompensieren ist einfach nur traurig.
Was tatsächlich oft das Problem ist
Fast alle meiner Kundinnen haben in dieser oder einer anderen Form von irgendjemandem eingeredet bekommen, dass sie Blockaden hätten. Manchmal kommt diese Aussage auch von Angehörigen, die es gut meinen, aber am Ende spielt das keine Rolle.
Wenn ich mir diese Fälle genauer ansehe, dann fällt oft eines sehr schnell auf:
Die Diagnostik wurde absolut vernachlässigt. Blockaden sind aber keine Ausrede für eine schlechte Diagnostik. In vielen Fällen kann erstmal eine Menge getestet werden, was einen fast immer viel näher zum Ziel bringt, oder zumindest einen Weg vorgeben kann.
Betroffene leiden unter PTBS: Viele KiWu-Betroffene leiden oft unter posttraumatischen Belastungsstörungen, z.B. nach traumatischen Fehl- oder Totgeburten. Dann bestehen medizinisch nachweisbare Ursachen im Körper, warum es nicht zu einer Schwangerschaft kommt. Der Körper leidet unter einem medizinisch definierten Trauma, das behandelt werden muss. Dies ist meistens neurologischer Natur, aber hat überhaupt nichts mit Pseudo-Blockaden zu tun. Diese Patientinnen brauchen ärztliche Hilfe und kein Hokuspokus.
Es bestehen praktische Einschränkungen: Hier kann ich ein paar Beispiele aus meinem Kundenkreis nennen, die ganz einfach erklärbar sind: IVF-Behandlungen wurden aus organisatorischen Gründen an unpassenden Tagen durchgeführt, es bestand während der Behandlung eine zusätzliche Erkrankung, die das Ergebnis negativ beeinflusst hat, es wurde aus heutiger Sicht falsch behandelt, weil neue Tatsachen hinzugekommen sind.
Alle diese Fälle haben eines gemeinsam: Es gib eine sinnvolle Erklärung für den unerfüllten Kinderwunsch, auch wenn diese nicht immer einfach zu handhaben ist oder man sie vielleicht noch nicht zu 100% kennt.
Keine Diagnose zu kennen heisst nicht, dass es nicht doch eine gibt. Manchmal wurde sie einfach noch nicht gefunden. Jedenfalls sind Blockaden nicht einfach eine Ersatzantwort dafür.
Statt Betroffene aber noch mehr kaputt zu machen und ihnen ein zusätzliches Problem in Form der Blockaden einzureden, erwarte ich von Coaches, sich das entsprechende Fachwissen anzueignen und Betroffene an die richtigen Anlaufstellen zu verweisen. Ja, im Zweifel verliert man dann eine zahlende Kundin, aber alles andere finde ich schlicht unseriös.
Was ist mit gedanklichen Blockaden?
Es mag sein, dass man in gewissen Konstellationen von Blockaden sprechen kann, z.B. wenn ein Sportler eine Leistung nicht abrufen kann, etwa eine Kunstturnerin, die plötzlich nicht mehr zum Salto ansetzen kann. Das gibt es und das kann als Folge eines Traumas (z.B. Sturz) vorkommen. Im Unterschied zum Kinderwunsch geht es dann aber darum, eine grundsätzlich machbare Leistung z.B. durch Mental Training wieder so abzurufen, das sie wieder ausführbar wird. Zweierlei Faktoren sind ausschlaggebend: Es geht um eine Leistung (schwanger werden ist keine Leistung, die ich aktiv beeinflussen kann) und sie muss grundsätzlich ausführbar sein (d.h. die Kunstturnerin ist physisch in der Lage, einen Salto zu machen). Man kann in diesem Kontext schon von Blockaden sprechen, aber sie haben eine andere Grundlage, als eine ausbleibende Schwangerschaft. Diese kann ich weder gedanklich herbeiführen, noch ist diese in irgendeiner Weise an eine erlernbare oder skalierbare Leistung gekoppelt.
Und was ist mit Stress?
Ein häufiges Märchen besagt, dass zu viel Stress automatisch zu Blockaden führt - die aber - wie wir ja gerade gesehen haben, nicht existieren. Natürlich ist Stress ungesund auf lange Sicht. Es ist aber eine Illusion, dass ein paar Kinderwunsch-Behandlungen ohne Stress möglich wären. Das würde ja heissen, dass man etwas falsch macht, deshalb eine KiWu-Behandlung beginnt, dadurch gestresst wird und es deshalb wiederum nicht klappt. Dann müsste man ja im Umkehrschluss einfach die KiWu-Behandlung wieder aufhören, wobei man dann bitte nicht gestresst sei soll und schwupps - klappt es von allein. Ganz so einfach ist es nicht. Viele Betroffene haben ja einschlägige Diagnosen, mit denen eine Schwangerschaft ohne medizinische Unterstützung gar nicht oder nur unwahrscheinlich möglich ist. Diesen Leuten einzureden, sie würden durch Stress Blockaden bekommen, ist ein bodenloser Blödsinn.
Stress kann in extremen Fällen Auswirkungen auf die Fruchtbarkeit haben. Diese sind aber mit konkreten medizinischen Tatsachen zu belegen, z.B. das Ausbleiben des Eisprungs oder die Spiegel verschiedener Hormone. Auch neurologische Stressreaktionen können medizinisch untersucht werden. Wichtig ist zu wissen, dass man trotz Stress schwanger werden kann, denn ein grosser Anteil der KiWu-Patientinnen wird ja schwanger und sie dürften allen in der ein oder anderen Weise gestresst sein.
Auch hier sind Blockaden also ein Mittel, um diffuse und nicht zu Ende gedachte Antworten zu liefern, ohne dass erstmal die richtigen Fragen gestellt werden.
In diesem Sinne: Für mehr Realismus im Umgang mit unerfülltem Kinderwunsch.
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