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"Die Natur will es halt nicht" oder spielt man Gott, wenn man eine IVF macht?

Vielleicht hast du diese kritischen Kommentare auch schon über dich ergehen lassen müssen. Das eine ist, wie man nach aussen auf einen solchen Kommentar antwortet, das andere ist, was man selbst darüber denkt.


Wir du ja vielleicht weisst, liebe ich Plädoyers. Es ist meine Lieblingstextform, weil es in einem Plädoyer nochmals darum geht, alle wesentlichen Punkte zu schärfen und (bevor das Gericht entscheidet) einen Feinschliff jedes Arguments abzuliefern. Mit anderen Worten: Der letzte Eindruck zählt! Deshalb möchte ich mich heute mal mit der Frage auseinandersetzen, was die Leute eigentlich (meinen zu) meinen, wenn sie davon sprechen, dass die Natur halt nicht wolle, dass man schwanger wird oder dass man bei einer IVF Gott spielen würde. Stimmt das wirklich und was ist dran, wenn man diese Fragen in einen grösseren philosophischen Kontext setzt?


Die Natur will es nicht

Es ist eine der grossen Fragen der Philosophie, ob die Natur überhaupt etwas will.

Ja du hast richtig gehört, man fragt sich, was der Sinn oder das Ziel der Natur ist. Wir wissen alle, dass uns die Evolution so geschaffen hat, wie wir gerade sind. Trotzdem gibt das noch nicht die Antwort darauf, was das Ziel der ganzen Entwicklung ist. Warum hat ein Tier ein hervorragendes Auge bekommen, bei einem anderen hat aber ein normales Auge gereicht? Könnten nicht alle Tiere Adleraugen haben? Wann wären wir dann fertig entwickelt? Klingelt eines Tages irgendwo eine Glocke, wenn wir den optimalen Endzustand erreicht haben? Warum entwickeln sich manche Lebewesen weiter und andere sterben aus? Evolution basiert auch zu einem gewissen Teil auf Zufällen, weil in dem Moment einer Weiterentwicklung noch nicht klar ist, ob es diejenige sein wird, die am Schluss das Rennen macht (z.B. ein Tier, das aufgrund einer Genmutation eine andere Fellfarbe hat: Wird es sich damit besser oder schlechter herumschlagen?). Ob die Natur überhaupt etwas will, ist also völlig offen.


Wenn wir nun aber der Natur einen Willen unterstellen würden, dann würde das ganz konkret bedeuten, dass wir keine Medizin anwenden dürften. Nirgends.

Denn dann würde die Natur auch nicht wollen, dass jemand von Krebs geheilt wird, dass ein Adipöser eine Fettwegspritze bekommt oder dass ein Kind ein fiebersenkendes Mittel erhält. Wo genau soll man da die Grenze ziehen, was die Natur jetzt gerade will und was nicht? Vor allem: Wer wäre kompetent dazu, diese Abgrenzung zu treffen? Ein Arzt? Wir sehen also schon an diesem Punkt, dass die Natur nichts aktiv wollen kann, weder dass jemand an Schizophrenie erkrankt, noch das jemand nicht schwanger wird.


Andere wollen keine Kinder

Spätestens dann, wenn wir uns bewusst werden, dass manche Leute ungewollt Kinder bekommen und andere ungewollt keine, läuft auch diese Argumentation ins Leere. Was würde die Natur dann denen sagen wollen, die keine Kinder wollen und ihr ganzes Leben dadurch zum Kompromiss wird? Warum würde die Natur die Kinder dann nicht denen zuteilen, die auch wirklich welche haben wollen?


Ich persönlich sehe die Diagnose unerfüllter Kinderwunsch einfach als Laune der Natur, als Zufall in einem fast perfekten System. Wir müssen uns immer vor Augen führen, dass unser Körper aus Milliarden von Zellen besteht, die sich sekündlich erneuern. Bereits kleinste Abweichungen im genetischen Code (und das ist eine Ebene, die kleiner ist als eine Zelle!) können dazu führen, dass ein Mensch noch nicht einmal lebensfähig ist. Wenn wir es also schaffen, als lebensfähiger Mensch geboren und erwachsen zu werden, dann funktionieren 99,9% der Prozesse des Körpers einwandfrei und sie müssen jeden Tag aufs Neue funktionieren. Jeder Körper hat wahrscheinlich irgendwo gewisse Abweichungen zur Norm, so wie jeder Baumstamm ein wenig anders wächst und jedes Tier ein anderes Muster auf dem Fell hat. Ein Mensch ist anfälliger für Heuschnupfen als der andere, wieder ein anderer hat früh Haarausfall und ein weiterer ist allergisch gegen Meeresfrüchte. Es ist aber nur ein minimaler Teil, der nicht einwandfrei funktioniert. Das bringt mich zum nächsten Punkt.


IVF zu machen, heisst Gott zu spielen?

Diese Keule bekommen Betroffene auch oft zu hören, nicht selten auch aus religiösen Kreisen. Aber was ist dran an diesem Argument? Dazu müssen wir uns ein wenig mit der Schöpfung befassen. Ob man jetzt an die Schöpfungsgeschichte im wörtlichen oder im übertragenen Sinne glaubt, oder einfach an die Entstehung im Sinne der Evolution: Die Ereignisse der Schöpfung haben sich mehr oder weniger in der Reihenfolge zugetragen, wie sie auch im Alten Testament erzählt werden. Wir bleiben aber bei einer übergeordneten Konsens-Version: Irgendwann ist der Mensch entstanden, so wie er heute existiert.


Die moderne Medizin kennt seinen Bauplan sehr genau und hat viele Elemente davon entschlüsselt. Aber spielen wir wirklich Gott, wenn wir eine IVF durchführen? Meiner Meinung nach ist das völlig überzogen. Die Reproduktionsmedizin erfindet den Menschen nicht neu, sie erschafft kein neues, unbekanntes Lebewesen, was - sofern man denn gläubig ist - nur ein göttliches Wesen könnte. Schliesslich sieht man einem Menschen von aussen nicht an, ob er durch IVF entstanden ist, oder eben nicht.


Die Reproduktionsmedizin arbeitet konkret an einer Zelle mit einem Spermium - mehr nicht. Natürlich kann man sagen, dass eine gewisse Berechenbarkeit besteht, wenn ein bestimmtes Spermium bei einer ICSI in eine bestimmte Eizelle gespritzt wird. Hier nimmt der Embryonologe eine aktive Rolle ein, denn er könnte ja auch ein anderes Spermium wählen. Aber was macht er denn genau? Er wählt das stärkste und passendste Spermium aus, nämlich das, was in der freien Natur auch die grössten Chancen hätte, einen Menschen zu erschaffen. Würde er ein schwächeres Spermium auswählen, käme es gar nicht zu einem lebensfähigen Organismus. Er vollzieht also lediglich eine Abkürzung bzw. eine optimierte Auswahl. Die Spermien und die Eizelle haben aber immer noch die Eltern (bzw. Spender) gestellt und diese können wir nicht künstlich erschaffen. Dieser Schritt ist minimal, wenn man bedenkt, dass danach Abermilliarden von Zellteilungen und -erweiterungen vollzogen werden müssen, bis daraus ein lebensfähiger Mensch entsteht. Es gibt also noch Milliarden von Momenten, in denen etwas schief gehen kann und dann doch kein Mensch daraus wird.

Dies hat ganz konkret auch mit der Lebensweise der Mutter während der Schwangerschaft zu tun, die letztlich einen viel grösseren Einfluss auf die Entwicklung aller Zellen dieses Körpers nehmen kann, als der Embryonologe auf diese eine Zelle.

Eine Mutter die raucht, schädigt Milliarden von Zellen ihres Embryos bewusst und aktiv - was hat hier also die grössere Auswirkung? Auch bei einer Chemotherapie (die ja ein gutes Ziel hat!) wird in die Zellentwicklung eingegriffen, indem schädigende Krebszellen vernichtet werden. Zahlenmässig handelt es sich dabei aber um einen viel invasiveren Eingriff, als bei einer IVF.


Der Weg, d.h. was passieren muss, damit ein Embryo entstehen kann, der ist von der Natur zu 100% vorgegeben. Die Reproduktionsmedizin hilft lediglich durch einen kleinen Schritt ein wenig nach, aber sie hat ihrerseits keinen neuen Prozess dazu erfunden.


Was hat das nun mit Gott zu tun?

Oft wird zu Betroffenen von unerfülltem Kinderwunsch gesagt, dass Gott halt nicht den Weg der Elternschaft für sie vorgesehen habe, wobei Gott hier auch als Synonym für die Natur oder für das Universum verwendet wird. Woher will man aber wissen, ob da eine höhere Macht irgendwo sitzt und sich überlegt, welches Problem man nun welchem Menschen zuteilen soll? Das klingt absurd. Dann müsste man auch so weit gehen zu sagen, dass dieser Jemand auch vorsieht, dass ein Mensch ohne zu schauen über die Strasse geht und überfahren wird usw. Nicht alles im Leben ist der Plan eines Gottes, denn was hätte er (oder sie?) davon, wenn wir leiden? Kein Gott, egal welcher Religion oder Strömung man angehört, würde unnötiges Leid wollen. Umso weniger würde es Sinn machen, manche Menschen wegen unerfülltem Kinderwunsch leiden zu lassen, während sich andere aus freien Stücken entscheiden, keine Kinder zu bekommen. Warum könnten nicht einfach beide ihr Glück finden?


In unerfülltem Kinderwunsch steckt auch keine tiefere Message. Man muss nicht erst einen Leidensweg erklimmen, um seine wahre Bestimmung im Leben zu finden.

Das wird oft retrospektiv so interpretiert, weil Angehörige dann sagen: "Aber du hast ja jetzt XY erreicht, das wäre nicht passiert, wenn du ein Kind gehabt hättest!", aber das ist eine einseitige Betrachtung, die im Nachhinein gemacht wird. Es gibt jeden einzelnen Tag tausende Möglichkeiten, wie dieser Tag verlaufen kann und manche davon sind besser, andere schlechter als der tatsächliche Verlauf, den der Tag nehmen wird. Niemand muss geläutert werden, um seine wahre Bestimmung zu finden.


Stattdessen bin ich überzeugt, dass ein Gott oder jede andere höhere Macht, das Universum, immer das Interesse haben wird, dass es den Menschen gut geht. Die Welt wäre doch zweifellos eine bessere, wenn jeder Mensch darin seinen idealen Platz finden wird. Manche wollen das mit Absicht nicht und diese sind auch für alle Probleme der Welt verantworlich, denn diese sind grösstenteils menschengemacht. Es wäre aber paradox, einen Gott so zu nennen, wenn er seine höhere Macht dazu missbrauchen würde, Menschen permanent Probleme vor die Füsse zu knallen - um zu... um was eigentlich zu erreichen? Dann würden wir nicht mehr über ein göttliches Wesen sprechen...


Fazit

Mit diesem Beitrag ging es mir darum, diese sehr weit verbreiteten Argumente einmal im Detail zu entkräften. Es ist eine Sache, wie man solchen Kommentaren im Aussen begegnet, aber eine andere Sache, wie man auch für sich selbst damit umgeht. Im Coaching arbeite ich mit dir auch an grossen Fragen, denn es ist mein Anspruch, dass du wegen solchen Konzepten keine schlaflosen Nächte hast. Die hat man als Betroffene schon genug wegen anderen Dingen.


 
 
 

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