Reproduktive Immunologie - die Basics und Strategien
- Anna Bergmann
- vor 16 Stunden
- 7 Min. Lesezeit
Vorab ein Disclaimer: Ich bin keine Ärztin und ich mache auch keine medizinischen Analysen. Ich gebe euch hier lediglich mein Wissen weiter, das darin besteht, die Basics zu erklären und Strategien aufzuzeigen, wie du weiter vorgehen kannst.
Dieser Beitrag dient nicht der Diagnostik, sondern als Leitfaden, was du tun kannst und wann du vertiefte Fragen stellen solltest.
Reproduktive Immunologie ist keine Standardleistung
In den deutschsprachigen Ländern ist die Immunologie oft eines der letzten Gebiete, das getestet wird und dann auch oft in mehreren Schritten. Dies kann ich persönlich nicht ganz nachvollziehen, weil die Diagnostik vergleichsweise wenig invasiv ist und viele Befunde gut und proaktiv behandelt werden können. Zudem kann man mit einer Untersuchung gleich alle Punkte abhandeln - was aber in den seltensten Fällen gemacht wird. Anders als z.B. in Spanien dauert die Diagnostik hierzulande sehr lange und wird oft auch sehr spät angeordnet.
In diesem Beitrag möchte ich aufzeigen, welche Diagnosen es gibt, wie sie festgestellt werden und was du tun kannst, wenn du glaubst, davon betroffen zu sein.
Was ist reproduktive Immunologie?
Unser Immunsystem ist generell dazu da, uns zu schützen und Gefahren, die auf den Körper einwirken (seien das Viren, Bakterien, aber auch übermässige physische Einwirkungen wie z.B. Wunden) abzuwehren und zu heilen. Wenn Entzündungen im Körper bestehen, ist das immer ein Anzeichen dafür, dass im wahrsten Sinne des Wortes etwas überhitzt hat. Der Körper versucht sich mit dem Immunsystem selbst zu heilen. Dazu gehören auch verankerte Abwehrreaktionen, z.B. gegen Krankheitserreger oder auch gegen physische Fremdkörper.
Das Problem ist aber, dass diese Abwehrreaktionen manchmal fehlgeleitet sein können, sodass das Immunsystem nicht darauf schaut, den Körper gesund zu halten. Stattdessen sabotiert es sich selbst und eine Schwangerschaft wird als Bedrohung wahrgenommen und abgewehrt. Diese Überreaktion bzw. falsche Reaktion des Immunsystems ist eine Fehlfunktion des Körpers und hat keinen anderweitigen Vorteil.
Wann sollte ich hellhörig werden?
Die Folgenden Indikatoren können darauf hindeuten, dass mit der reproduktiven Immunologie etwas nicht stimmt:
Wiederholte frühe Fehlgeburten bis zur 10. Schwangerschaftswoche (vor allem ohne gesunde Schwangerschaft dazwischen)
Biochemische Schwangerschaften
Fehlgeburten nach genetisch gesichert guten Transfers (z.B. nach PGTA-Testung bzw. Präimplantationsdiagnostik)
Wiederholtes Einnistungsversagen trotz objektiv guter Kriterien (gute Gebärmutterschleimhaut, Qualität der Blastozysten etc.)
Was sind natürliche natürliche Killerzellen?
Diese Zellen kommen standardmassig in unserem Körper vor und sie sind wichtig, weil sie potenzielle Gefahren erkennen und abwehren. Sie liegen auch in der Gebärmutter und beteiligen sich bei einer intakten Schwangerschaft an der Bildung der Plazenta.
Manchmal nehmen diese Zellen ihre Arbeit aber etwas zu ernst und wehren alles ab, was sich in die Gebärmutter begibt. Wenn sie zu aktiv sind, wehren sie den Embryo irrtümlicherweise ab, was zu Problemen bei der Einnistung oder zu einer Fehlgeburt führen kann.
Wie kann man das feststellen?
Dazu muss eine Biopsie der Gebärmutter gemacht werden. Was sich nach einem riesigen Eingriff anhört, ist eigentlich sehr klein. Im Rahmen einer Gebärmutterspiegelung wird ein kleines Gewebestück abgeschabt (wie mit einem Minirechen bzw. beim Pap-Abstrich) und ins Labor geschickt.
Der Zeitpunkt der Biopsie ist wichtig: Diese sollte möglichst dann erfolgen, wenn die Gebärmutterschleimhaut diejenige Zusammensetzung hat, die sie bei der Einnistung hat, also ca. am 21. Zyklustag. Dabei werden im Labor die Killerzellen genauer angeschaut, z.B. wie viele es sind, wie aktiv sie sind und es werden Zytokine getestet. Zytokine sind Signalproteine, welche das Gleichgewicht zwischen Entzündung und Heilung beeinflussen können und damit das Immunsystem regulieren. Sie können aber in beide Richtungen gehen und es ist entscheidend, wie sie gerade ticken bzw. in welcher Zusammensetzung sie vorhanden sind.
Tipp:
Die meisten Betroffenen unterziehen sich einmal einer Gebärmutterspiegelung, oft um auch die Eileiterdurchlässigkeit zu prüfen. Es wäre ein minimaler Aufwand, dann gleich noch eine Probe für die natürlichen Killerzellen zu nehmen - das Datum ist aber wichtig! In den meisten Fällen wir das aber nicht gemacht und das ganze Prozedere (teils unter Vollnarkose) muss wiederholt werden.
Wie kann man natürliche Killerzellen behandeln?
Die erste Stufe wäre ein gesunder Lebensstil mit möglichst entzündungshemmender Ernährung (mehr Infos dazu findest du in meinem Online Kurs "Klinik Kompass"). Das hilft nicht nur der Gebärmutterschleimhaut, sondern auch allen anderen Zellen. Grob gesagt kann man sich an die mediterrane Ernährung halten (viel Olivenöl) und sollte genug Omega-3 Fettsäuren zu sich nehmen. Auch Stressmanagement, ein genügend hoher (aber nicht zu hoher) Vitamin-D Spiegel, sowie eine gute Darmgesundheit haben positive Effekte.
Das reicht jedoch nicht immer. Zusätzlich ist folgendes möglich:
Kortison/Prednisolon: Diese beiden Stoffe haben eine entzündungshemmende Wirkung und sind allgemein gut verträglich.
Intralipid-Infusionen: Sie bestehen im Wesentlichen aus emulgierten Fettlösungen, die vor allem Omega-3 Fettsäuren und andere enthalten. Dadurch werden entzündungsfördernde Zytokine (also die bösen…) ausgebremst, damit wird die Aktivität der überaktiven Killerzellen gesenkt. Eine solche Infusion wird üblicherweise in der 2. Zyklushälfte vor dem Transfer verabreicht und kostet zwischen 200 und 250€.
Was sind KIR-Gene?
Sie werden oft mit Killerzellen verwechselt, sind jedoch eine ganz eigene Diagnose. Man kann aber beides zusammen haben, was die Lage etwas erschwert.
Die KIR-Gene sind die Empfänger, also quasi die Dockingstation der Killerzellen. Sie interagieren mit bestimmten Molekülen auf den Zellen des Embryos, die jeweils vom Vater weitergegeben werden. Stell dir an dieser Stelle ein Funkgerät vor: Wenn die Frequenz stimmt, dann erhältst du einen klaren Ton und der andere versteht dich auch. Wenn es aber zu einer Rückkopplung kommt, erklingt ein schriller Ton oder es kommt bei schlechter Verbindung zu Störgeräuschen. Genau das passiert, wenn die Moleküle auf den Zellen des Embryos nicht zu den KIR-Genen passen (es gibt mehrere Arten davon, diese sind genetisch bedingt). Je nach Kombination ist das leider kein Perfect Match und es kann zu Beeinträchtigungen bei der Kompatibilität kommen. Glücklicherweise ist das kein Ausschlusskriterium für eine Schwangerschaft, aber sie muss therapeutisch begleitet werden, da gleichzeitig ein erhöhtes Fehlgeburtrisiko besteht.
Wie können die KIR-Gene getestet werden?
Dazu reicht ein einfacher Bluttest beider Partner, bei der Frau werden die KIR-Gene typisiert, beim Mann wird eine HLA-C-Typisierung vorgenommen.
Wichtig: Damit man die KIR-Gene beurteilen kann, ist immer ein Test beider Partner notwendig, weil es auf die Kombination ankommt: Passt der Schlüssel oder passt er nicht! Die alleinige Typisierung sagt nichts aus, da es verschiedene KIR-Gene gibt. Wenn eine problematische Kombination festgestellt wird, muss man diese ggf. behandeln. KIR-Gene sind aber genetisch festgelegt, d.h. ein einziges Mal testen reicht und sie werden sich nie mehr verändern bzw. die Behandlung kann immer gleich fortgeführt werden.
Wie kann man eine ungünstige Konstellation behandeln?
Die HLA-Moleküle der männlichen Seite müssen genau typisiert werden. Anschliessend sind immunsuppressive Therapien möglich, welche das Immunsystem etwas zurückbinden.
Was ist der ERA-Test?
Beim ERA-Test geht es darum, das massgebende Einnisungsfenster zu ermitteln, welches verschoben sein kann - allerdings ist der Test teilweise umstritten und gehört nicht direkt zu den immunologischen Faktoren. Die Gebärmutterschleimhaut kannst du dir wie einen natürlichen Schwamm vorstellen, der viele kleine und grössere Löcher hat. In dem Moment, in dem das befruchtete Ei in die Gebärmutter kommt, sind die Löcher des Schwamms besonders weit offen und ziehen die Blastozyste regelrecht an, damit sie es sich darin bequem machen kann. Hat sie einmal angedockt, schliessen sich die Löcher wieder bzw. sie sind nicht mehr rezeptiv. Nun kann es passieren, dass diese rezeptive Zeit immer zu früh oder zu spät auftritt und nicht mit dem Eintreffen des Embryos in der Gebärmutter zusammenfällt. Sie verpassen sich also. Dies ist ebenfalls genetisch bedingt und kann nicht behandelt werden, ausser indem durch eine künstliche Befruchtung der Embryo genau zum richtigen Zeitpunkt transferiert wird. Die Zahlen hierzu schwanken, aber ein verschobenes Einnistungsfenster soll gar nicht so selten sein.
Wie wird das diagnostiziert?
Dazu wird ebenfalls eine kleine Gewebeprobe genommen, welche innert weniger Minuten völlig schmerzlos erfolgt. Dabei wird ein ganz dünnes Röhrchen eingeführt und in die Gebärmutterschleimhaut gestochen, wobei eine leichte Saugwirkung ein bisschen des Gewebes heraussagt.
Tipp:
Ich habe kaum eine Klientin, bei der alle diese Punkte schnell bzw. in einer Untersuchung getestet worden wären, obwohl das ganz einfach möglich ist. Im Verhältnis zu viel investiveren Verfahren wie der Präimplantationsdiagnostik sind diese Verfahren minimal invasiv und viel günstiger. Eine komplette immunologische Diagnostik kostet ca. € 2500.—. Das klingt erstmal nach viel, aber wenn man stattdessen mehrere Runden IVF erfolglos durchmacht, steht das in keinem Verhältnis.
Leider wird die Immunologie in den deutschsprachigen Ländern viel zu selten und viel zu spät geprüft. Ich habe viele Kundinnen, die regelrecht insistieren müssen, damit diese Untersuchungen (oft sogar zeitversetzt) gemacht werden. Viele Kliniken haben selbst nicht die Expertise, um die Laboruntersuchungen selbst zu bewerten, sodass Proben oft ins Ausland geschickt werden. Spanien ist bei dieser Diagnostik in Europa führend, sodass es auch sinnvoll ein kann, für einen Tag nach Spanien zu fliegen und die ganze Diagnostik inkl. der Ergebnisse in einem Tag zu machen. Das spart, Zeit, Frust und Geld.
Was gibt es noch für immunologische Probleme?
Eine häufige Diagnose ist die chronische Endometritis, was nichts anderes ist als eine dauernde Entzündung der Gebärmutterschleimhaut. Das Tückische ist, dass man sie manchmal Jahre lang nicht bemerkt, obwohl sie leicht mit Antibiotika behandelbar wäre. Das Resultat wird ebenfalls mit einer Biopsie ermittelt.
Weitere generelle Autoimmunerkrankungen sind Hashimoto und Lupus. Diese erfordern oft eine interdisziplinäre Zusammenarbeit von Endokrinologen, Immunologen und Reproduktionsmedizinern.
Gerinnungsstörungen sind ebenfalls ein häufiges Problem, das die Mikrozirkulation in der Plazenta behindern kann, was schliesslich auch zu einer Fehlgeburt führen kann. Die Diagnostik ist mittels einem Bluttest möglich. Als Untergruppe der Gerinnungsstörungen gibt es noch die Thrombophilie, Dabei besteht eine verstärkte Gerinnung, welche auch die Einnistung stören kann, die Durchblutung in der Plazenta behindern kann oder zu einer Präeklampsie führen kann.
Zusammenfassung
Das grösste Problem ist in keinem dieser Fälle die Diagnose selbst, sondern dass sie zu spät oder gar nicht gestellt wird. Immunologische Diagnosen können sehr gut bzw. sehr gezielt behandelt werden, sodass die Chancen auf eine Schwangerschaft damit erheblich steigen. Aus 32 KiWu-Behandlungen weiss ich, dass eine fehlende Strategie ein Geld-, Zeit- und Frustfaktor ist, der vielen Betroffenen einen Strich durch die Rechnung macht. In meinem Onlinekurs "Der Klinik-Kompass" zeige ich dir, wie du zielführend mit deine Ärztinnen redest, wie du aus jedem Gespräch mit einer klaren Strategie rauskommst und woran du erkennst, dass du nur nach Schema F behandelt wirst. Wirst du noch behandelt, oder handelst du schon?
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