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Essay: Jedes meiner Tattoos hat mit dem Kinderwunsch zu tun

Jedes meiner Tattoos hat mit meinem Kinderwunsch zu tun.


Tattoos sind wie ein Stempel - in vielerlei Hinsicht. Ich bin stark tätowiert, was in meinem Berufsfeld als Juristin sehr unüblich ist und ich scheue mich nicht, meine Tattoos auch bei der Arbeit zu zeigen.


Ich scheue mich im Leben vor überhaupt nichts mehr, seit ich 32 KiWu-Behandlungen hinter mir habe. In Meetings mit Aussenstehenden warten die Leute in Anzügen oft, bis die Person aus der Rechtsabteilung noch kommt, bis sie entgeistert feststellen, dass ich es bin.

Ich erinnere mich noch gut an eine Klientin, für die ich in einem aussichtslosen Fall mal 30’000 Franken rausgeholt habe. Ich habe sie während dem Fall nie persönlich getroffen. Als sie mir danach mal einen Blumenstrauß vorbeibrachte und sah, wie ich eben aussah, sagte sie: „So hätte ich mir Sie nicht vorgestellt. Ich hätte ihnen den Fall so niemals gegeben!“, und sie stolperte über ihre eigenen Vorurteile.


Aber was genau verstehen Leute unter Tattoos? Menschen wie sie haben ein klares Bild, auch wenn das mittlerweile aufgeweicht ist: Tattoos sind aus der Unterschicht, Im Knast haben viele Leute Tattoos, sie sind ein naiver Fehler, weil man sie nie mehr wegbekommt.


Ganz so einfach ist es aber nicht. Meine Mutter drohte immer, mich zu enterben, sollte ich mir eines Tages ein Tattoo stechen lassen. Nun - nachdem ich es mir jahrelang verkniffen hatte, war sie diejenige, die auf mich zukam und fragte, wie ich es denn fände, wenn sie sich eines stechen lassen würde. Danach begannen wir beide und eines folgte auf das andere.


Ich bin viele Jahre zur See gefahren und Tattoos und Seefahrt sind unzertrennlich. Die Seefahrt ist eine Branche voller Mystik, Verruchtheit, Aberglaube, Grenzerfahrungen, Romantik und Wehmut und so kam es zu meinem ersten Anker, gefolgt von einer Meerjungfrau und einem Seepferdchen. Das war vor meiner Kinderwunsch-Zeit, aber sie erinnern mich daran, welche Zeit in meinem Leben für immer mein Anker bleiben sollte, welche Kräfte die Natur hat und wie unbeschwert dennoch mein Leben in diesen Jahren gewesen ist.


Dann kam der unerfüllte Kinderwunsch. Mein erstes Sternenkind. Nichts prägte mein Leben in so vielschichtiger Art und Weise, wie die folgenden Jahre. Schmerz, Verlust, Ewigkeit, Reisen, Durchhalten, Glauben.


Mein erstes Tattoo (der langersehnte Anker)  stach ich auf dem Rücken, weil ich wollte, dass man es auf keinen Fall sehen kann - die Leute könnten ja denken… Bis ich irgendwann gemerkt habe, dass ich es selbst ja auch nicht sehen kann… Verunstalten Tattoos den Körper? Ja vielleicht, denn je älter man wird, desto unschärfer werden sie; sie verblassen wie der Körper selbst auch. Ganz pragmatisch gesprochen hat mein Körper aber schon jetzt den Zenith überschritten, die Schwerkraft schlägt zu und Cellulite sieht weder mit noch ohne Tattoo toll aus.


Tattoos sind Narben, sie erzählen Geschichten.


Wer mich nicht kennt, denkt vielleicht ich hätte es etwas zu gut gemeint mit dem ein oder anderen Modetrend.

Stattdessen bin ich wahrscheinlich eine der wenigen Frauen, die einen Anker und eine Meerjungfrau als echte Seefahrerin tragen darf. Ich trage Tarotkarten, weil es mehr gibt, als das was wir sehen können. Ich trage einen Heissluftballon, weil der Himmel für mich das Ziel ist. Eine Jugendstilfigur ziert meinen Arm, weil ich zahlreiche KiWu-Behandlungen in Riga verbracht habe und das Eintauchen in die Fantasie alten Häuser aus der Zeit des Jugendstils die einzige Flucht aus meinen Gedanken war.


Die Musik ziert meinen Arm mit einem verschnörkelten Notenschlüssel, weil sie Ebenen erreicht, in die Worte niemals vordringen können. Musik trifft mitten in die Seele, wenn die Stille zu laut wird.

Ich trage auch ein jüdisches Tattoo, weil mein Glaube mir Antworten gab, wenn die rationale, säkulare Welt keine mehr kannte. Zu wissen, dass es einen Gott gibt, der mich nicht bewertet, der mir einfach zuhört wenn mich sonst keiner versteht, war mir manchmal die entscheidende Stütze. Die Demut vor der Schöpfung, vor dem Wunder in Runde 32, wird mich mein ganzes Leben mit Dankbarkeit erfüllen, deshalb sind Tattoos auch ewig.


Dann ist da noch das letzte Tattoo, das alle lustig und süss finden, das aber das traurigste von allen ist.

Genau das wollte ich, auch wenn es einen ganz anderen Hintergrund hat. Ein Dackel, der am Schwanz drei bunte Luftballons hinter sich herzieht. Am Anfang war es nur einer, dann wurden es zwei und schliesslich drei. Jeder Luftballon steht für eine Seele, die mal in meinem Bauch und trotzdem für immer bei mir ist. Ich wollte keinen plumpen, traurigen Jahreszahlen, sondern ein fröhliches Bild, denn ich trage sie in schöner Erinnerung bei mir. Das muss keiner verstehen, nur ich.


Das Leben schreibt Geschichten, manche von ihnen haben Schnörkel, andere haben Narben. Ein Körper ist kein perfektes Objekt, sondern er lebt, schafft neues Leben, verabschiedet Leben, verletzt sich oder wird verletzt. Wenn er stirbt, vereinen sich alle seine Seelen wieder. Für andere sind meine Tattoos hässlich, unästhetisch, zu rabiat. Für mich sind sie die schönste Zierde, die ich mir vorstellen kann, denn sie erzählen die Geschichte meines Lebens immer weiter.


Ein Sternenkind als Tattoo zu verewigen, andere Meilensteine des Weges festzuhalten war für mich vor allem eines: Ehrlichkeit mit mir selbst. Wenn man sich ein Tattoo stechen lässt, verpflichtet man sich, es sein ganzes Leben lang zu tragen. Man kann vom Weg abkommen im Leben, aber es soll einen mahnen oder ermutigen, wieder darauf zurückzukommen. Ich bin während meinem Kinderwunsch extrem auf Abwege gekommen, habe an mir gezweifelt und wurde gegaslightet. Am Ende hat mich eines gerettet: Die Ehrlichkeit zu mir selbst, weil ich mich nicht länger selbst belogen habe. Dies über ein Tattoo zu verewigen, war der ultimative Schwur für mich.


 
 
 

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