Teil II Ende gut alles gut?: Geburt nach unerfülltem Kinderwunsch - Risiko postpartale Depression
- Anna Bergmann
- vor 9 Stunden
- 4 Min. Lesezeit
Dieser Artikel ist Teil der Serie "Ende gut alles gut?", die sich mit der Erfüllung eines langen Kinderwunsches und den Auswirkungen dazu befasst.
Im ersten Teil ging es um die Schwangerschaft nach vielen Verlusten bzw. nach langem unerfüllten Kinderwunsch, diesmal geht es um die Geburt und die erste Zeit danach.
Würde man einen Aussenstehenden bitte, das Ereignis der Geburt in diesem Kontext zu beschreiben, dann würden wohl die meisten sagen, dass es keinen grösseren Moment der Freude gibt, schliesslich haben die Wunscheltern ja so lange auf ihr ersehntes Kind warten müssen.
Doch die Realität ist nicht nur viel komplexer, sondern könnte gegenteiliger manchmal nicht sein. Vorab ist aber eine Sache ganz wichtig: Die im Anschluss beschriebenen Probleme sagen nichts darüber aus, wie sehr eine Mutter ihr Kind liebt. Die Liebe zum Kind dürfte gerade bei Betroffenen von unerfülltem Kinderwunsch sehr gross sein, weil sie sich des langen Weges bewusst sind und ihren Kinderwunsch auch immer wieder neu validieren mussten, um endlich an diesem Punkt ankommen zu können.
Schon für Eltern, die unkompliziert zu dieser Eigenschaft gekommen sind, ist die erste Zeit mit einem Baby enorm herausfordernd. Es gibt keine Ausbildung dafür und man hat keine Stellvertretung wenn man mal nicht mehr kann - daher ist es völlig normal, dass das Leben für eine Weile aus den Fugen gerät, dass der ein oder andere Wäschekorb mal stehen bleibt und man sich auf ein paar Monate schlaflose Nächte einstellen muss. Mütter sind wahrscheinlich von Natur aus so konzipiert, dass sie zu einem gewissen Grad in dieser Zeit funktionieren, denn der Mensch ist ein verhältnismässig unselbständiges Lebewesen, wenn man sich die ersten Jahre anschaut. Im Tierreich gibt es ganz andere Fälle, in denen ein Junges kurz nach der Geburt schon selbständig weiterleben kann, was wir Menschen lange nicht können.
Was schon für normale Eltern eine riesige Challenge ist, ist für ehemalige Betroffene von unerfülltem Kinderwunsch noch ein paar Hausnummern grösser. Sie starken mit vielen Traumata und mit einer oft jahrelangen Vorbelastung in diese Zeit und haben im Gegensatz zu anderen keinerlei Reserven aus der Schwangerschafts-Glow-Phase. Stattdessen war die Schwangerschaft für Betroffene oft ein Funktionieren mit dem einzigen Wunsch, dass das Kind (diesmal) lebend zur Welt kommt. Da ist kein Platz für Selbstreflexion oder gar Selbstfürsorge, sondern alles dreht sich um die bevorstehende Geburt.
Hinzu kommen unverarbeitete Traumata, ohne die ein unerfüllter Kinderwunsch gar nicht zu bewältigen ist. Wie oft lassen Betroffene etwas über sich ergehen, was eigentlich ihre Grenzen sprengt, aber sie denken, dass das einfach notwendig sei, um ans Ziel zu kommen. Hierunter verstehe ich die unterschiedlichsten Situationen, aber Beispiele für solche unverarbeiteten Traumata können sein:
übergriffige Untersuchungen
Druck nach einer Fehlgeburt/Nullrunde gleich wieder zu Arbeiten oder trotz phsyischer/psychischer Arbeitsunfähigkeit zu arbeiten
belastete Familiensituation
Fehlgeburten
Diese Traumata kann man sich wie einen imaginären Rucksack vorstellen, den man so lange mit sich herumträgt, wie man sie nicht be- und verarbeitet. Während einer Schwangerschaft und in der Zeit danach ist hierfür aber oft keine Kapazität vorhanden.
Unerfüllter Kinderwunsch ist auch ein Thema, an dem viele Freundschaften zerbrechen. Es kann sein, dass sich Freundschaften auseinanderleben, weil alle Freundinnen in der Babybubble angekommen sind und andere Interessen haben, oder dass sie nicht känger mit dem Problem des Kinderwunsches klarkommen, oder dass sich auch Betroffene zurückziehen, weil sie am herausfordernden Sozialleben nicht mehr teilnehmen wollen. Ist das langersehnte Baby dann endlich da, können sie oft auf ein weniger starkes soziales Netz zurückgreifen. Es geht hier gar nicht darum, dies zu bewerten, sondern es ist ein Fakt, den viele so gar nicht auf den Punkt bringen können, sondern ihn erst merken, wenn sie schon ganz unten angelangt sind.
Auch die Geburt an sich wird von vielen Betroffenen schwierig(er) wahrgenommen, gerade wenn traumatische Erlebnisse dazwischenstehen.
In der Summe führen diese enormen Vorbelastungen dazu, dass Betroffene einen noch viel schwierigen Start in die Zeit mit Baby haben. Um es in einem Satz zu sagen:
Sie starten mit einem Kontostand von -100 Energiereserven in eine Aufgabe, die +200 erfordert.
Das Umfeld erwartet derweil, dass der Kinderwunsch ja nun abgeschlossen ist und dass man sich gefälligst zu freuen hat. Für Betroffene ist aber gar nichts abgeschlossen, sondern die Verarbeitung kann oft sogar erst nach der ersten anstrengenden Zeit beginnen. Die Kluft zwischen der äusseren Wahrnehmung und dem inneren Gefühl könnte daher nicht grösser sein.
Genau deshalb haben Betroffene von unerfülltem Kinderwunsch eine sehr viel höhere Wahrscheinlichkeit, an einer postpartalen Depression zu erkranken. Dies wird durch die gesellschaftliche Wahrnehmung verstärkt, weil von dieser Gruppe am allermeisten erwartet wird, dass jetzt alles in Ordnung sei. Hinzu kommt, dass es für diese spezifischen Frauen keine besondere Betreuung gibt. Zum einen sind sie bei der Kinderwunsch-Klinik ab dem Moment des positiven Tests nicht mehr Patientin, zum anderen ist auch die Geburt und die Nachsorge nicht speziell auf Frauen mit einer KiWu-Geschichte ausgerichtet.
Ich möchte mit diesem Beitrag für das Thema sensibilisieren und vor allem alljene Wunschmamas ansprechen, die gerade noch nicht Mama sind. Hat man in einem neutralen Rahmen einmal von dieser Verlaufsmöglichkeit gehört, ist man eher dafür sensibilisiert, seine eigenen Gefühle in der Situation zu verstehen, wenn sie denn eintreten sollte. Obwohl in den letzten Jahren mehr Präsenz und mehr Angebote zum Thema postpartale Depression geschaffen wurden, sind diese noch nicht gezielt auf ehemalige Betroffene von unerfülltem Kinderwunsch zugeschnitten.
Es ist daher empfehlenswert, bereits in der Schwangerschaft und auch danach zusätzliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, um diese besonderen Risiken optimal abdecken zu können. Heldinnen sind nicht diese Frauen, die sich komplett kaputt machen, sondern Heldinnen holen Hilfe <3.
Im dritten Teil dieser Serie geht es dann um die Nachbereitung des unerfüllten Kinderwunsches nach einer Geburt.
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