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Warum für mich ein Pflegekind nie in Frage kam

Autorenbild: Anna BergmannAnna Bergmann

Aktualisiert: vor 6 Tagen

Nach dem berüchtigten Ratschlag zur Adpotion für Betroffene von unerfülltem Kinderwunsch folgt sehr schnell der nächste, dann soll man sich doch um ein Pflegekind bewerben. Obwohl zahlenmässig sehr viele Pflegekinder dringend einen Platz brauchen, gestaltet sich dies in der Praxis schwieriger als gedacht und ich habe mich bewusst dagegen entschieden.


In Deutschland ist ein Pflegeverhältnis dem Adoptionsverhältnis rechtlich fast gleichgestellt, d.h. die Pflegeeltern sind automatisch Erziehungsberechtigte und das Kind ist in die Familie voll integriert. In der Schweiz ist dies durch die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde nicht automatisch so, da in der Regel die KESB die Vertretung der Kinder übernimmt und nicht die Pflegeeltern. Der Pflegeprozess wird durch die Behörden, sowie durch zusätzliche Organisationen engmaschig begleitet.


Im Laufe des langjährigen Kinderwunsches kam das Thema Pflegekind natürlich auch bei uns zur Sprache, da hierfür sogar in Zeitschriften etc. geworben wurde. Ich kann hier nur einen persönlichen Erfahrungsbericht schildern und dieser hat keinesfalls den Anspruch auf Allgemeingültigkeit, aber ich möchte damit aufzeigen, dass es in manchen Fällen keine Lösung ist, ein Pflegekind aufzunehmen.


Es begann damit, dass wir uns informierten und verschiedene Organisationen anschauten, die Pflegekinder vermitteln. Als Juristin verstehe ich es voll und ganz, dass Pflegekinder aus schwierigen Verhältnissen nicht vom Regen in die Traufe kommen sollten und es deshalb wichtig ist, dass ihr zukünftiges Zuhause genau geprüft wird. Das ist der rationale Teil. Jeder versteht das und es ist auch gut, dass hierauf geachtet wird.

Emotional war dies für mich aber genau das Gegenteil. Wenn man vor einem Gremium von mehreren Menschen steht und ihnen erklären muss, warum man keine Kinder haben kann und deshalb ein Pflegekind aufnehmen möchte, kommt man sich vor wie mit dem Rücken zur Wand, als würde man sich um sein Leben reden. Es reicht vielfach nicht, wenn man einfach sagt, dass man keine Kinder bekommen kann, sondern man muss sich sprichwörtlich bis auf die Unterhosen ausziehen. Man muss darlegen, warum es nicht klappt und was man schon alles unternommen hat; ob man sich denn gut genug bemüht hat - denn damit wird oft die Ernsthaftigkeit des Interesses für ein Pflegeverhältnis bewertet. Dazu gehört auch die Offenlegung der Finanzen, eine Begehung des Haushaltes und vieles mehr. Ich kam mir vor wie eine Bewerberin bei einem Casting und ich fand auf viele Fragen keine ideale Antwort, und doch hätte ich mir so sehr die beste Antwort gewünscht, um genommen zu werden. Soll ich so antworten, wie sie es gerne hören möchten oder so, wie ich frei vom Herzen antworten würde? Was ist, wenn ich auf eine Frage keine Antwort weiss?


Obwohl wir finanziell unabhängig sind, verspürte ich keinerlei Aufregung oder Freude bei dem Gedanken, dass jemand zu uns kommen würde und das Kinderzimmer "prüfen" würde, welches tatsächlich ein ganzes Stockwerk war.

Es fühlte sich für mich entwürdigend an - nichts anderes. Das Gefühl, schon als biologische Mutter versagt zu haben und dann noch zusätzlich geprüft zu werden, ob man auch wirklich eine gute Mutter sein konnte, war für mich zu viel.

Ich weiss, dass vieles davon nur in meinem Kopf war, aber ich fühlte mich trotzdem bei dem Gedanken angegriffen, dass jemand mein liebevoll gestaltetes Kinderstockwerk nicht hätte toll finden können. Diese Prüfung, der sich biologische Eltern niemals unterziehen müssen, hätte mich fertig gemacht, wenn ich den Prozess denn zu Ende gemacht hätte.


Heute sehe ich das anders. Als Mama wäre es mir heute vollkommen egal, wenn jemand meinen Haushalt sehen würde, egal ob da noch ein Wäschekorb steht, oder ob das Kinderzimmer 30 oder 25 Quadratmeter gross ist. Es wäre mir egal und ich könnte ich selbst sein. Als Betroffene von unerfülltem Kinderwunsch steht man aber mit dem Rücken zur Wand, man hat schon mehr als alles gegeben und trotzdem hat es nicht geklappt. Dies dann noch verteidigen zu müssen, war mir nach 32 KiWu-Behandlungen zu viel. Es fühlte sich an wie eine Strafe, wenn ich für ein Pflegekind eine Bewilligung hätte einholen müssen. Ich, die es auf natürlichem Wege nicht geschafft habe, kann mich jetzt einem Test unterziehen und wenn ich dann wenigstens dort gut genug bin, bekomme ich die Bewilligung.


Weitere Herausforderungen in der Praxis

Objektiv betrachtet hätten wir wunderbare Voraussetzungen für ein Pflegekind gehabt und rückblickend bin ich sicher, dass wir früher oder später auch eines bekommen hätten. Aber auch in der Praxis stellen sich zahlreiche Herausforderungen.


Gerade nach einer so langen KiWu-Zeit hätte ich ein Pflegekind von der ersten Sekunde an geliebt wie mein eigenes, ich wäre am Ziel gewesen. Sachlich betrachtet ist es zu begrüssen, dass Pflegekinder gelegentlich Kontakt zu ihren leiblichen Eltern haben. Mich hätte der Gedanke aber sehr besorgt gemacht, das Kind immer wieder in eine Umgebung gegen zu müssen, in der es ihm nicht gut geht, denn vielfach sind Wochenendbesuche usw. in der Schweiz keine Seltenheit. Was tun, wenn man bei der Erziehung Differenzen mit den leiblichen Eltern hat? Dann mischt sich noch eine Behörde als dritte Stelle ein? Das hätte mich überfordert. Auch da wäre ich mir immer so vorgekommen, als wäre ich doch nicht die "richtige" Mutter.


Nebst den besonderen Fähigkeiten, die man je nach Fall auch als Eltern mitbringen muss (z.B. sozialpädagogische Fähigkeiten bei besonderen Fällen) hätte mich der Gedanke zerfressen, das Kind vielleicht nach Jahren eines Tages wieder hergeben zu müssen. Besonders wenn man selbst schon Kinder verloren hat, würde man emotional doppelt bestraft, wenn man nochmals ein Kind gehen lassen muss. Je nach Konstellation kann dies ja nicht ausgeschlossen werden und dies hätte mir das Herz gebrochen.

Unerfüllter Kinderwunsch beinhaltet viel Scham, das Gefühl komplett zu versagen und daran Schuld zu sein. Die Art und Weise, wie Pflegekinder vergeben werden, kommt dem nicht unbedingt entgegen. Eine Freundin von mir befand sich auch einmal im Adoptionsprozess, als sie gefragt wurde: Sie haben ja einen Hund. Wenn der sich nicht mit dem Adoptivkind vertragen würde, für wen würden Sie sich entscheiden?


Dies ist eine Dilemmafrage, die im echten Leben so nie gestellt werden muss.

Selbstverständlich würde man alle Optionen prüfen, z.B. den Hund erziehen oder was auch immer, aber kein biologisches Elternpaar würde im ersten Schritt daran denken, sich zwischen Kind und Hund zu entscheiden. Auch wenn man natürlich prüfen will, ob es jemand mit einer Pflegschaft bzw. Adoption ernst meint, finde ich es nicht in Ordnung, wenn hierbei mit zweierlei Mass gemessen wird, was auf biologische Eltern niemals angewandt wird.


Das ständige Beweisenmüssen, Kontrollbesuche von Behörden usw. fühlten sich damals für mich so bedrohlich und entwürdigend an, dass ich mich gegen die Pflegschaft eines Kindes entschied. Ich hatte keine Kraft, vor Behördenmitgliedern zu erklären, was ich alles hinter mir hatte und warum ich heute hier stehe.


Genaue Prüfungen sind richtig und wichtig, das möchte ich zum Schluss nochmals betonen. Dennoch sind viele Prozesse dieser Reise in meinen Augen extrem veraltet und entsprechen nicht mehr den heutigen Vorstellungen von Elternschaft.


Sicherlich gibt es auch einfachere Konstellationen, wie z.B. Pflegekind aus der eigenen Familie aufnehmen oder dies zu tun, wenn man selbst schon Kinder hat. Heute denke ich darüber auch sehr entspannt, aber während meiner KiWu-Zeit wäre es keinesfalls eine Alternative gewesen, sondern eher eine noch schlimmere Situation.


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